Das Europäische Parlament stimmt am 6. Juli final über eine Übergangsverordnung zur ePrivacy-Verordnung ab [1]. Darin enthalten sind Regelungen, die es Anbietern von Messenger-Apps und anderen Chat-Formaten zukünftig erlauben, unter Nutzung von fehleranfälliger Künstlicher Intelligenz private Nachrichten voll-automatisiert und in Echtzeit nach potenziell illegalem und Kindeswohl-gefährdendem Material zu durchleuchten [2]. Potentielle Verdachtsfälle werden automatisch an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Im Mai unterstützte bereits der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlamentes entsprechende Vorschläge [3].
Der Schutz des Kindeswohls ist ein hehres Ziel, doch sind die Maßnahmen zur Chat-Durchleuchtung hierbei nutzlos: Aufgrund zahlreicher fehlerhafter Meldungen, mit der sich Polizeien auseinandersetzen müssen, ziehen sie geradezu Ressourcen von eigentlicher Ermittlungsarbeit ab [2]. Allerdings entsteht durch Chat-Durchleuchtung, auch Chatkontrolle genannt, ein deutlicher Kollateralschaden für die Online-Privatsphäre. Die EU Pläne zur Chatkontrolle wurden von einer ehemaligen Richterin des Europäischen Gerichtshofs als grundrechtswidrig eingestuft [4]. Laut einer repräsentativen Umfrage lehnen 72% der EU-Bürger:innen eine anlasslose Durchleuchtung ihrer privaten Kommunikation klar ab [5], und diese Ablehnung formiert sich per Petition [6] und Protestaktion [7].
Patrick Breyer, Abgeordneter des EU-Parlamentes, warnt eindringlich:
„Dieses Abkommen bedeutet, dass alle unsere privaten E-Mails und Nachrichten einer privatisierten Echtzeit-Massenüberwachung mit fehleranfälligen Denunziationsmaschinen ausgesetzt werden – mit verheerenden Folgen für Nutzer:innen, Kinder und Opfer gleichermaßen. Unzählige unschuldige Bürger:innen werden unter falschen Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben. Selbst aufgenommene Nacktbilder von Minderjährigen (Sexting) werden in die falschen Hände geraten. Missbrauchsopfer verlieren sichere Kanäle zur Beratung und Unterstützung. Dieser Deal versetzt dem digitalen Briefgeheimnis den Todesstoß, schafft einen verheerenden Präzedenzfall und ist nur durch Desinformations- und Erpressungskampagnen möglich gemacht worden. Solche Denunziationsmaschinen auf uns loszulassen ist ineffektiv, illegal und unverantwortlich. Hier werden totalitäre Methoden eingesetzt, die mit einer Demokratie unvereinbar sind.“
Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland, sieht den allgemeinen Trend zu mehr Überwachung mit arger Sorge:
„In Deutschland wurden gerade weitere Einsatzmöglichkeiten für Staatstrojaner geschaffen, um Bürger:innen überwachen zu können. Per Uploadfilter wird automatisiert kontrolliert werden können, was Internet-Nutzer:innen ins Internet laden wollen. Nun will die EU die Privatsphäre in Chats aushebeln. Wir müssen uns deutlich gegen diese massive Bedrohung unseres Grundrechts auf private Kommunikation stemmen. Wir werden zum gläsernen Bürger, Kriminelle hingegen werden auch weiterhin Wege finden, verschlüsselte Botschaften zu senden.“
Quellen:
[1] www.europarl.europa.eu/doceo/document/OJQ-9-2021-07-06_EN.html „Use of technologies for the processing of data for the purpose of combating online child sexual abuse (temporary derogation from Directive 2002/58/EC)“
[2] Der EU Abgeordnete Patrick Breyer (Greens/EFA) beleuchtet auf seiner Homepage ausführlich die Hintergründe, siehe: www.patrick-breyer.de/beitraege/nachrichtendurchleuchtung/
[4] Rechtsgutachten: www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2021/03/Legal-Opinion-Screening-for-child-pornography-2021-03-04.pdf
[5] Umfrageergebnisse: www.patrick-breyer.de/umfrage-72-der-buergerinnen-gegen-eu-plaene-zur-automatisierten-nachrichten-und-chatkontrolle-mit-strafanzeigeautomatik/
[7] hpd.de/artikel/chatkontrolle-aktion-gegen-aufhebung-digitalen-privatsphaere-19428
(Quelle: Presseportal)
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